Ergebnisse der Mehlschwalbenerfassung 2011-2013

von Ronald Mulsow und Detlef Schlorf (Hamburg)

1 Anlass und Vorgehensweise

In den drei Jahren 2011 bis 2013 wurde versucht, eine möglichst flächendeckende Erfassung des Brutbestandes der Mehlschwalbe (Delichon urbicum) in Hamburg zu realisieren. Anlass waren Hinweise auf rückläufige Bestände aus Berlin (Witt 2011), die für Hamburg mit ähnlichen großstädtischen Verhältnissen vergleichbare Entwicklungen befürchten ließen.

Die Kartierung wurde in 50 Flächeneinheiten a 16 km2 = 800 km2 organisiert. Von diesen konnten insgesamt 692 km² (336 westlich und 356 östlich der Alster) von Mitgliedern des Arbeitskreises Vogelschutzwarte Hamburg kartiert werden. Randgebiete, die in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen liegen, machten 50 km² des Kartiergebietes aus. Vom 755 km² großen Stadtgebiet Hamburgs wurden 92,3 % bearbeitet. Neben der Zahl der festgestellten Brutpaare sollten in einem Fragebogen auch Angaben zur Exposition des Neststandortes (Himmelsrichtung), zur Nesthöhe, zur Höhe der von der Mehlschwalbe besiedelten Gebäude und zum Gebäudetyp gemacht werden.

Wir danken ganz herzlich allen Mitarbeitern, die in den drei Jahren halfen, den Mehlschwalbenbestand zu erfassen (in Klammern die Zahl der kartierten km²):

Ahlers, H. (44), Baumung, S. (7), Beck, S. (5), Berg, J. W. (8), Büchner, H. (2), Diederichs, E. (16), Dien, J. (17), Dwenger, A. (20), Erhard, G. (5)., Fick, G. (119), Hagen, A., (8), Harms, F. (29), Ikert, W. (40), Johannsen, J.-L. (21), Korsch, M. (40), Lüchow, E. (5), Mitschke, A. (13), Mühlenfeld, C. (48), Mulsow, R. (40), Neumann-Köppen, H. (14), Ohm, I. (37), Rastig, G. (13), Rudat, P. (8), Runge, U. (20), Rupnow, G. (38), Schlorf, D. (8), Schmid, W. (15), Sommerfeld, M. (12), Urbasch, I. (8), Vieth, H. (24) und Witt, M. (8). Ergänzende Einzelbeobachtungen lieferten Fähnders, M., Harms, H.-H., Laessing, F., Poerschke, I., Studt, O. und Wesolowski, K.

2 Ergebnisse

Bestand

Von der Mehlschwalbe besiedelt waren 157 km² (22,7 % aller untersuchten, 100 ha großen Flächeneinheiten). Es wurden 2.184 besetzte Nester festgestellt. Als die jeweils größten Kolonien, wobei eine „Kolonie“ einen größeren Bereich einnehmen kann, sich also meist nicht auf 1 oder 2 Gebäude beschränkt, wurden festgestellt:

In West-Hamburg    City (125 BP)    Moorburg (100 BP)    Wilhelmsburg (92 BP)

In Ost-Hamburg    Moorwerder (90 BP)    Neuengamme (79 BP)    Peute (74 BP)

Nestexposition

Bezüglich der Ausrichtung der Nester scheinen die Ergebnisse 2011 bis 2013 eine geringe Bevorzugung der Nord- und Ostseiten gegenüber der Süd-und Westseite als „Wetterseite“ anzudeuten (Tab. 1). Dies ist aber schwierig objektiv zu beurteilen, da die Ausrichtung der besiedelten Gebäude nicht mitkartiert wurde. Gegenüber entsprechenden Untersuchungen 1971 zeigen sich allerdings kaum Unterschiede (Otto 1974).

Tab. 1:
Ausrichtung der Mehlschwalben-Nester in Hamburg im Vergleich mit einer Untersuchung 1971 (Otto 1974) – Prozentuale Anteile der Himmelsrichtungen

Himmelsrichtung

2011-2013

[n=1.306]

1971

[n=1.584]

N

19,2

22,2

O

25,4

19,6

S

18,9

12,1

W

17,2

14,9

NO

5,4

14,0

SO

6,7

4,2

SW

2,8

6,1

N – SO

56,7

60

S – NW

43,3

40

Nesthöhe

56,1 % aller Neststandorte wurden im Bereich zwischen 2 und 8 m Höhe registriert (Abb. 1). Zu berücksichtigen ist dabei, dass allein 40 % der besiedelten Gebäude Einzelhäuser und Bauernhöfe waren. Die Tatsache, dass 33,2 % der Nester in einer Höhe von 10 bis 13 m liegen, zeigt, dass bei höheren Gebäudearten (Wohnblocks u.a.) auch eine größere Nesthöhe bevorzugt werden kann.

Gebäudehöhe

Die Auswertung der Angaben zur Zahl der Stockwerke der Gebäude, die von der Mehlschwalbe besiedelt waren, ergab, dass vor allem zweigeschossige Gebäude bevorzugt zur Nestanlage genutzt wurden (Tab. 2).

Tab. 2:
Anzahl der Stockwerke von Gebäuden mit Mehlschwalbennestern (n=1.054)

Zahl der Stockwerke

1

2

3

4

5

6

10

12

% der Nester

11,9

47,2

29,2

8,9

0,2

1,2

0,8

0,6

Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommt man bei der Auswertung der Frage, in welchem Stockwerk eines Gebäudes wie viele Nester vorhanden waren. Die meisten Nester wurden im zweiten Stockwerk angelegt; es folgen Erdgeschoß und erster Stock (Tab. 3). Noch höher als im dritten Stock gab es nur wenige Nestanlagen.

Tab. 3:
Mehlschwalbe – Stockwerke mit Nestanlagen im Raum Hamburg (n=1.174)

Stockwerk

0

1

2

3

4

% der Nester

26,3

26,3

30,1

16,2

1,1

Gebäudetypen

1-bis 2-geschossige Bauten machen schon 61,3 % aller besiedelten Gebäude aus. Neben meist dörflichen Einzelhäusern und Lagerhallen liegt ein zweiter Schwerpunkt des Mehlschwalbenvorkommens in der Wohnblockzone. Im Prinzip sind wohl fast alle Gebäudearten besiedelbar, wenn sie denn den Habitatansprüchen der Mehlschwalben genügen. Gemeldet wurden folgende Gebäudetypen (n=410):

Bauernhof    Lagerhalle    Einzelhaus    Wohnblock    technischer Bau

    21,0%    21,0%    19,3%    18,5%    4,9%

Reihenhaus    Speicher    Schule    Restaurant    Turnhalle

    3,2%    3,2%    2,4%    2,4%    2,0%

Scheune    Gutshaus    Tankstelle    Schuppen

    1,5%    0,2%    0,2%    0,2%

Fördermaßnahmen bzw. Vergrämung

Positive Maßnahmen: Insgesamt wurden 110 angebrachte Kunstnester registriert. Bei 70 Nestern wurde das Stockwerk festgehalten. Davon lagen 22,9 % im Erdgeschoß, 20 % im ersten und 57,1 % im zweiten Stockwerk. Angenommen werden die Kunstnester oft erst nach einigen Jahren. An zwölf Gebäuden waren Kotfangbretter angebracht worden. Ein Restaurantbesitzer hatte auch Schlammpfützen zur Nistmaterialgewinnung angelegt.

Negative Maßnahmen: In 20 Fällen waren alte Nester entfernt worden. In einer großen Kolonie (Horner Rennbahn) sind an mehreren Wohnblocks die Schwalben durch Vernetzung der Dachüberstände „ausgesperrt“ worden. Aufgrund der sehr hohen Dunkelziffer artenschutzrechtlich verbotener Vergrämungsmaßnahmen sind die wenigen hier dokumentierten Fälle allerdings nur exemplarisch zu verstehen.

In Bereichen, wo es noch Haussperlinge gibt, wurden diese mehrfach als „Besetzer“ von Mehlschwalbennestern beobachtet.

3 Diskussion

Bestandsentwicklung

Im Rahmen der ersten flächendeckenden Atlaskartierung für Hamburg 1997-2000 waren auf den 2011 bis 2013 erneut untersuchten Flächen 2.017 Nester registriert worden (Mitschke & Baumung 2001). Das entspricht einem Zuwachs von 8,3 %. Einer Zunahme von 24,9 % in der Osthälfte steht eine Abnahme in der Westhälfte um ca. 14,6 % gegenüber. Eine erhebliche Abnahme in bestimmten Hafenbereichen ist allerdings fraglich, weil dort manche Gebiete inzwischen nicht mehr zugänglich sind. Allgemein überwiegen auf der Geest Abnahmen, während es in Elbnähe und im Elbtal z.T. deutliche Zuwächse gab. Ausgenommen sind die Bereiche Finkenwerder/Waltershof, wo Verluste durch umfangreiche Bautätigkeiten eintraten. Große Kolonien, wie in der „City“ zwischen Alsterarkaden und Gänsemarkt sowie an der „Horner Rennbahn“ zeigen momentan wieder eine abnehmende Tendenz.

Bestandsentwicklungen können in verschiedenen Regionen (Marsch / Geest; Dorf / Stadt u.a.) unterschiedliche Tendenzen aufweisen. Dies wurde auch durch Untersuchungen in Berlin bestätigt (Witt 1999, 2011). Der Gesamtbestand der Mehlschwalbe wuchs dort von 1983/84 bis 1995/97 um 30 %, bis 2011/12 wurde jedoch ein Rückgang um 55 % registriert. Die Ursachen blieben unklar, diskutiert werden Mangel an Nistmaterial und Abwehrmaßnahmen u.a.

Nesthöhe

Während der Untersuchung 1971 lag der Anteil von Nestern in Höhen bis 8 m noch höher bei 74,4 % (Otto 1974), aber bereits in den 1970er Jahren waren auch deutlich höhere Neststandorte bekannt. Eine Brut an einem Hochhaus (30 m, 9 Geschosse) ist aus Hamburg-Harburg (HARMS 1967) muss dagegen für Hamburg bereits als Ausnahme gewertet werden. In Berlin wurden Nester noch an 21-geschossigen Hochhäusern beobachtet (WITT 2011). Neuwohnblockgebiete wurden dort ab etwa 1960 besiedelt (LENZ et.al. 1972), vor allem Balkons, die von drei Seiten eingebaut waren. Bezüglich der Nesthöhe zeigen die Kartierungen, in Berlin wie in Hamburg, dass die Mehlschwalben dazu neigen, die Nester oberhalb der Gebäudemitte anzulegen (WITT 2011).

Abb. 1: Nesthöhe der Mehlschwalbe in Hamburg im Vergleich mit einer Untersuchung 1971 (Otto 1974) – Prozentuale Anteile der Höhenklassen

Als ehemalige Felswandbrüter sind Mehlschwalben in menschlichen Siedlungen auf „Kunstfelsen“, also Gebäude angewiesen. Höhe und Art der Gebäude sowie Exposition der Nestwand scheinen nicht so wichtig zu sein, wenn nur andere entscheidende Habitatansprüche erfüllt werden. Dazu gehören: Die Möglichkeit des freien Anflugs, eine nicht zu glatte Nistwand, ein Dachüberstand (nach OTTO 1974 optimal 30-50 cm), möglichst durch Balken gegliedert, verfügbares Nistmaterial in der Nähe mit einem Gewässer in nicht zu großer Entfernung. In Hamburg wurde auch schon die Nutzung von Schlamm aus Regenrinnen beobachtet. Bei der Nistplatzauswahl scheinen Mehlschwalben nach neueren Beobachtungen in Mecklenburg-Vorpommern (DONNER & NEUMANN 2015) über eine große ökologische Bandbreite zu verfügen. Dort wurden Nester u.a. in Lampen, Montagelöchern, hinter Wandverkleidungen und in großen Innenräumen festgestellt.

4 Zusammenfassung

Ergebnisse der Mehlschwalbenerfassung 2011 -2013 (von R. Mulsow & D. Schlorf, Hamburger avifaun. Beitr. 43: 58-71, 2019).

In den Jahren 2011 – 2013 wurde versucht, den Gesamtbrutbestand der Mehlschwalbe (Delichon urbicum) in Hamburg zu erfassen. Von 31 Mitgliedern des Arbeitskreises Vogelschutzwarte Hamburg konnten 92,3 % des 755 km² großen Stadtgebietes kartiert werden. Neben der Feststellung der Anzahl besetzter Nester, sollten Fragen zur Nestexposition, Nesthöhe, Höhe der besetzten Gebäude und zum Gebäudetyp beantwortet werden.

Von Mehlschwalben besiedelt waren 157 km² (= 22,7 %), in denen 2.184 Nester erfasst wurden. Die größten Kolonien bestanden aus 74 – 125 Brutpaaren. Bei der Nestexposition ergab sich, ähnlich wie schon 1971 (Otto 1974), eine geringe Bevorzugung der Nord- und Ostseiten.

Die meisten Neststandorte (56,1 %) wurden in 2 – 8 m Höhe (meist Einzelhäuser) registriert; 33,2 % in der Höhe von 10 – 13 m (Wohnblocks u.a.). Insbesondere zweigeschossige Gebäude wurden für Nestanlagen genutzt. Besonders häufig besiedelte Gebäudetypen waren Bauernhöfe, Lagerhallen, Einzelhäuser und Wohnblocks.

Als Fördermaßnahmen waren 110 Kunstnester angebracht worden; die meisten im zweiten Stockwerk. An 12 Gebäuden hatte man Kotfangbretter installiert; bei einem Restaurant waren Schlammpfützen angelegt worden. Die häufigste negative Maßnahme ist das Entfernen alter oder neuer Nester. In einer größeren Kolonie waren die Schwalben durch Netze entlang der Dachüberstände „ausgesperrt“ worden.

Der Gesamtbestand hat gegenüber der ersten flächendeckenden Atlaskartierung (1997-2000) um 8,3 % zugenommen. Abnahmen überwiegen auf der Geest, während es in Elbnähe oft Zuwächse gab, besonders in der Osthälfte. Auch in Berlin hatte man regional unterschiedliche Tendenzen gefunden. 2012 wurde dort allerdings ein deutlicher Rückgang gegenüber 1997 um 55 % ermittelt. Die Kartierungen in Berlin und Hamburg ergaben, dass die Nester oft oberhalb der Gebäudemitte angelegt werden.

Wichtige Habitatansprüche der Mehlschwalbe sind: freier Anflug, nicht zu glatte Wände, ein Dachüberstand und ein Gewässer mit verfügbarem Nistmaterial in der Nähe. Bezüglich der Nistplatzwahl verfügt die Art über eine große ökologische Bandbreite; Nester wurden u.a. in Lampen, Montagelöchern, hinter Wandverkleidungen und in großen Innenräumen festgestellt.

5 Summary

Results of a House Martin count in Hamburg 2011 -2013 (by R. Mulsow & D. Schlorf, Hamburger avifaun. Beitr. 44: 58-71, 2019).

In the years 2011-2013 we tried to census the total breeding population of the House Martin (Delichon urbicum) in Hamburg. So 92.3 % of the area (=755km²) were mapped by 31 members of the „Arbeitskreis Vogelschutzwarte Hamburg“. Besides the number of occupied nests the following questions should be answered: Direction nest faces, height of nest, height and the kind of occupied building?

There were found 2,184 occupied nests in 157 km² (= 22.7 %). The biggest colonies consist of 74 – 125 breeding pairs. The favoured direction faced by the nest was, similar to 1971 (Otto 1974) to the North and East. Most of the nest sites (56,1 %) were found at a height of 6-8 m (detached houses), but 33.2 % in 10-13 m (blocks of flats), especially two storey buildings were used. The most settled buildings were farm houses, ware houses, detached houses and blocks of flats. Settlement was substituted by 110 artificial nests, most of them set up at the second floor. At twelve buildings boards were installed to catch the birds excrements. The owner of a restaurant had set up mud puddles for swallows. On the other side many old and new nests were removed or destroyed and within one bigger colony the possibility of nesting was excluded by installation of nets under the roof.

Compared to the results of the atlas mapping of 1997-2000 the population of House Martins increased by 8.3 %. Declines often were found in the sandy heathland, increase of population near the river Elbe, especially in the eastern part of the area. Opposite trends in different regions were also observed in Berlin, but there was a distinct decline (55 %) according to a census in 2011/2012 compared to another one in 1997. The swallow nests are often set up above the buildings middle height as the mappings showed in Berlin and Hamburg.

The most important elements of the House Martin habitat are: free approach to the nest, the walls not too smooth, a roof shelter and wetlands nearby with available nest material. The House Martin has a wide ecological belt in choosing nest places. Nests had been found in lamps, construction holes in buildings, behind wall brackets and within big interiors.

Literatur

Mitschke, A. & Baumung, S. (2001): Brutvogel-Atlas Hamburg. – Hamburger avifaun. Beitr. 31: 1–344.

Donner, K. J. & J. Neumann (2015): Zum Nisten der Mehlschwalbe Delichon urbicum in Mecklenburg-Vorpommern. Ornithol. Rundbr. Mecklenbg.-Vorpomm. 48: 198-207.

Harms, W. (1967): Mehlschwalbenbrut (Delichon urbica) am Hochhaus. Vogel und Heimat 16: 91-92.

Lenz, M., Hindemith, J. & B. Krüger (1972): Zum Brutvorkommen der Mehlschwalbe (Delichon urbica) in West-Berlin 1969 und 1971. Vogelwelt 93: 161-180.

Otto, D.J. (1974): Untersuchungen über Biotopansprüche der Mehlschwalbe (Delichon urbica) in Hamburg. Hamb. Avifaun. Beitr. 12: 161-84.

Witt, K. (1999): Neststandorte und Brutbestand der Mehlschwalbe (Delichon urbica) in Berlin 1995-1997. Berl. Ornithol. Ber. 9: 3-36.

Witt, K. (2011): Status der Mehlschwalbe (Delichon urbica) in Berlin 2010/2011. Berl. Ornithol. Ber. 21: 51-58.

Anschriften der Verfasser: 

       Dr. Ronald Mulsow

        Auf der Heide 55

        22393 Hamburg

        ronald@mulsow.org

        Dr. Detlef Schlorf

        Grelckstraße 8c

        22529 Hamburg

        detlefschlorf2@aol.de